Hilfe annehmen

Beim Kauf war klar, dass ich diesen schweren Tisch nicht alleine tragen kann, aber ich konnte ihn 10 Tage im Geschäft lagern. 10 Tage, da sollte doch etwas zu organisieren sein. Meine Tochter meinte nur „dann komm ich halt rechtzeitig her, wenn er zum Abholen ist“. Okay.
Auto vermessen, Freundinnen angefragt. Tage später beim Plaudern mit einem Freund hat dieser angeboten mein Fahrrad zu servicieren. Dem Rad geht es gut, scherzeshalber sag ich, ich hab da einen Tisch stehen, der in den nächsten sieben Tag abgeholt werden soll.
„Klar, der passt auch in mein Auto“ ha, wie lustig, Faust aufs Aug. Ich scherze noch, dass er dann auch meine alte Matratze mitnehmen könnte, die gehöre zum Sperrmüll. „Ginge auch noch“.
Eigentlich sollte ich erleichtert sein, mein Tisch kommt bald zu mir.
Tatsächlich ist mir ein wenig übel, weil …
Ich sollte doch alleine wissen wie.
Ich sollte das doch allein können.
Ich sollte doch … atmen.

Am Tag des Abholens ruft er mich an und sagt, ich brauch doch nicht zum Laden. Er fahre direkt hin. Mir ist nicht mehr nur flau im Magen. Er leitet mich durch das Gespräch, auf jedes „Nein, geht nicht“, hat er eine Lösung. „ Das klappt schon“. Weil, klar, tut es. Und ich sag ihm, dass das jetzt gerade echt schwer ist eine Aufgabe an ihn abzugeben, die eigentlich meine ist, weil das mein Tisch ist, den ich mir gekauft habe. Er versteht das, es könnte sein, dass ich durchaus auch Perfektionist:innen in meinem Umfeld anziehe.

Wie gut bist Du im Hilfe annehmen?
Mir fällt das manchmal echt schwer. Von Menschen, die ich lange kenne, denen ich auch da und dort geholfen habe, ja, das klappt schon. Aber wenn man sich noch nicht so lange kennt, dann knirscht es bei mir in meinem Gedankengebälk. Noch. Ich übe, ich bin am Weg und die letzten Wochen hatten sehr viele Übungsfelder – so kam ein Kollege, der mit mir die gleiche Ausbildung macht, um beim Umzug eines meiner Kinder zu helfen, weil ich zwar am Studienort war, aber ohne Auto dort war und er gerade Zeit und ein Auto hatte. Einfach so. Dass ich dort war, wusste er von meinem WhatsApp-Status aus dem Zug.
Oder bei einem Peergroup-Treffen war der Abend so launig und produktiv und eigentlich wollten wir Essen bestellen, aber mein Bus geht doch in einer knappen Stunde. Mir wurde eine Autofahrt angeboten – 40km. Drei Stunden länger als geplant saßen wir beisammen und reflektierten und diskutierten, „food for tought“ für ein Monat.
Ich sprach das an, dass ich das Annehmen echt schwer finde und das ich gleichermaßen sehr dankbar bin. Und ja, wir reflektierten und besprachen das warum und wer das auch kennt. Die Wissenschaft geht davon aus, dass 1/3 der Erwachsenen perfektionistische Züge hat, „Hilfe annehmen“ fällt vielen nicht gar so leicht.
Aber Erlerntes kann man Umlernen.

Meine Methoden-Verkosten Workshops sind dabei auch eine Gelegenheit – ich verwende dabei Methoden zur Kollaboration und Cocreation, also gemeinsam etwas erarbeiten, großteils mit Menschen, die man bis dahin nicht gekannt hat. Woran man da arbeitet: an den eigenen Zielen, bei der Reflexion der vergangenen 12 Monaten, bei der Entwicklung von neuen Angeboten. Parallel und gemeinsam. Umgekehrt ist das Mitdenken für Andere, so eine tolle Möglichkeit sich in andere hineinzuversetzen, ohne die eigenen Limitierungen – und eben auch ohne die Limitierungen des Gegenübers zu kennen. Deshalb entstehen ja so toll Ergebnisse. Und als Perfektionist:in übt man in kleinem Umfeld „Hilfe annehmen“. Weil Übung so wichtig, wenn man sich neue Fertigkeiten und Fähigkeiten aneignen will.

Während ich den heutigen Text nochmal durchlese, sitze ich an meinem neuen Tisch. Noch immer streichle ich über die Oberfläche und schau ihn glücklich und zufrieden an und weiß – eigentlich sind es immer die anderen. Die anderen, die den Tisch gemacht haben, verkauft haben, zu mir gebracht haben. Ist schon ein wunderbar, schöner, gemeinschaftlicher Platz diese Welt.