Du hast das Gefühl, dass ständig auf Dir herumgehackt wird? Dass immer jemand etwas von Dir will, Du etwas tun sollst oder das, was Du machst, nicht gut genug ist?
Kennst du solche Situationen?
- Du kommst mit Deiner Freundin am Urlaubsort an, Ihr räumt Eure Sachen ins Apartment und besprecht, was Ihr die nächsten Tage kochen wollt. Sie sagt: „Ich bräuchte noch Mozzarella“, und Du hörst heraus: „Du hast den Mozzarella beim Einkaufen vergessen. Hol jetzt einen.“
- Du bist zu Besuch bei Deinen Eltern. Deine Mutter sagt: „Draußen scheint die Sonne“, und Du verstehst: „Die Markise sollte längst offen sein. Warum hast du das noch nicht gemacht?“
- Bei der Arbeit kommt ein: „Wo sind die Unterlagen?“, und Du hörst: „Warum hast Du sie noch nicht auf meinen Schreibtisch gelegt?“
- Er schreibt Dir auf WhatsApp: „Am Freitag wird die Bar aber recht voll sein. Sollen wir woanders hin?“, und Du liest: „Du musst jetzt sofort etwas reservieren, wenn Du mich wirklich am Freitag in der Bar treffen willst.“
Manche dieser Aussagen zielen möglicherweise tatsächlich darauf ab, dass Du etwas tun sollst oder etwas versäumt hast. Es kann aber auch sein, dass Du auf eine bestimmte Ebene der Kommunikation besonders konzentriert bist.
Das Kommunikationsquadrat – Vier Seiten einer Nachricht
Friedemann Schulz von Thun hat das Kommunikationsquadrat (auch Vier-Ohren-Modell genannt) entwickelt, um zu zeigen, wie komplex Kommunikation ist. Jede Aussage hat vier Ebenen:
- Sachinhalt – Worüber wird informiert?
- Selbstkundgabe – Was sagt die sprechende Person über sich selbst aus?
- Beziehung – Was hält die sprechende Person vom Gegenüber
- Appell – Wozu will die sprechende Person das Gegenüber veranlassen?
Wenn ich zu meinem Gegenüber etwas sage, schwingen diese Ebenen mit und auch wenn das Gegenüber meine Aussage hört, hört es die vier Ebenen. Nun kann es aber sein, dass das was ich mit einem Satz ausdrücken will beim Gegenüber nicht so ankommt.
Wenn Du Dich oft kritisiert fühlst, kann es sein, dass du beim Hören besonders stark auf einer dieser Ebenen reagierst.
Warum nehme ich jeden Satz so schnell persönlich?
Wenn du dich schnell angegriffen fühlst, hörst du möglicherweise bevorzugt mit einem bestimmten „Ohr“:
- Appell-Ohr: Du nimmst in Aussagen vor allem einen Handlungsauftrag wahr.
- Beziehungs-Ohr: Du achtest stark darauf, was das Gesagte über Eure Beziehung aussagt – oft mit dem Ergebnis, Dich abgewertet zu fühlen.
Manchmal ist ein bestimmtes Ohr nur bei Unterhaltungen mit einzelnen Personen besonders aktiv, oft ist es aber auch ein allgemeiner Kommunikationsstil, der sich aus früheren Erfahrungen entwickelt hat.
Es liegt nicht immer (nur) an Dir
Manche Menschen kommunizieren tatsächlich über subtile, implizite Botschaften. Das kann manipulativ sein – etwa um Schuldgefühle auszulösen oder Leistungsdruck zu erzeugen:
- „Wenn du mich wirklich liebst, weißt du, was ich brauche.“
- „Ein braves Kind würde das jetzt machen.“
Solche Kommunikationsmuster finden sich oft in einem Teilbereich von Perfektionismus: Narzissmus und Machiavellismus. Wichtig ist: Wenn du dich oft kritisiert fühlst, ist das nicht automatisch Deine „Schuld“ – Du reagierst möglicherweise auf echte, unausgesprochene Erwartungen.
Was passiert, wenn du vor allem auf dem Appell-Ohr hörst?
Du interpretierst Aussagen als Aufforderung, auch wenn sie neutral gemeint sind. Typische Gedanken:
- Was will die Person von mir?
- Was soll ich tun, um es richtig zu machen?
- Was wird jetzt von mir erwartet?
Mögliche Folgen:
- Du fühlst dich überverantwortlich und übernimmst ungefragt Aufgaben.
- Du stehst unter ständigem Druck, alles richtig machen zu müssen und bist gestresst.
- Du hast Schwierigkeiten, Dich abzugrenzen, und stellst Deine Bedürfnisse hinten an.
- Du bist frustriert und fühlst Dich ausgenutzt. Dir fehlt der Dank. Tatsächlich machst Du Dinge, die nie verlangt wurden.
Was passiert, wenn du vor allem auf dem Beziehungs-Ohr hörst?
Du interpretierst Aussagen als Bewertung deiner Person. Typische Gedanken:
- War das ein Vorwurf?
- Bin ich nicht gut genug?
Mögliche Folgen:
- Du bist schnell gekränkt und nimmst Kritik persönlich.
- Du interpretierst ständig Zwischentöne und bist oft verunsichert.
- Du entwickelst Selbstzweifel, fühlst dich leicht abgelehnt oder angegriffen.
- Du gehst in Abwehr oder ziehst dich zurück.
Wenn Du in Gesprächen immer Aufgaben und negative Aussagen über Dich heraushörst:
Dann ist das Beziehungsohr und das Appellohr bei Dir stark ausgeprägt und die Kommunikation wird anstrengend:
- Du fürchtest ständig, etwas falsch zu machen (Appell) und gleichzeitig, nicht gut genug zu sein (Beziehung).
- Auch harmlose Aussagen wirken belastend.
- Das kann zu Reizbarkeit oder Überanpassung führen.
Wie kann ich lernen, mich weniger kritisiert zu fühlen?
- Die vier Seiten hören üben: Erinnere dich daran, dass jede Nachricht vier Ebenen hat. Versuche bewusst, auch Sachinhalt oder Selbstkundgabe wahrzunehmen.
- Reflektiere deinen Hörstil: Welches „Ohr“ ist bei Dir besonders empfindlich? Ist es vielleicht situations- oder personenbezogen?
- Nachfragen und paraphrasieren: Frage nach: „Wie meinst Du das genau?“ oder gib wieder, was bei Dir angekommen ist: „Du meinst, ich sollte …?“
- Empathisch zuhören: Versetze Dich in die andere Person hinein: Was könnte sie eigentlich sagen wollen? Welcher Anteil an der Aussage ist wirklich persönlich gemeint?
- Übe in sicheren Beziehungen: Mit vertrauten Menschen kannst du Gespräche üben: Stopp an bestimmten Stellen und besprecht gemeinsam, welche der vier Ebenen im Spiel waren – z. B. anhand von WhatsApp-Nachrichten.
- Unterstützung suchen: Ein Coaching kann dir helfen, Kommunikationsmuster zu erkennen, zu reflektieren und zu verändern – besonders, wenn Perfektionismus, übermäßige Verantwortung oder chronische Selbstkritik eine Rolle spielen.