Kürzlich wurden mir die obenstehenden Fragen gestellt.
Der nächste Absatz war meine direkte Antwort, die ich im weiteren genauer ausführe.
Von außen weiß man nicht, ob ein Mensch perfektionistisch ist, wenn er nach Exzellenz strebt. Das ist eine der vielen Fehlannahmen über Perfektionismus.
Der Perfektionismus, den ich meine, ist jener, bei dem Perfektionist:innen nicht anders können – sie müssen die Dinge auf eine bestimmte Art und Weise tun und können erst aufhören, wenn 150 % erreicht sind. Der hohe Anspruch an sich selbst und der Versuch Fehler zu vermeiden, entspringen meist einem Defizitdenken: Zum Beispiel „So wie ich bin, bin ich nicht genug. Ich muss erst etwas leisten, mich beweisen, um im Außen akzeptiert oder gemocht zu werden.“
Beim Perfektionismus trifft hohe Gewissenhaftigkeit auf niedrige emotionale Stabilität. Der Selbstwert speist sich aus überdurchschnittlich guter Leistung. Und natürlich kommen noch viele weitere Nebenschauplätze hinzu: Prokrastination, Impostor Syndrom und People Pleasing sind häufige Begleiterscheinungen, die beim Perfektionismus enthalten sein können.
Also: Finde ich, dass man vom Perfektionismus „genesen“ muss? Persönlich finde ich, man muss gar nichts. Man soll sein Leben selbstveranwortlich leben. Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass erwachsene Menschen gewissenhafte Entscheidungen treffen. Du darfst weiter gern Perfektionist:in sein oder Deine perfektionistischen Züge ausleben.
Für mich persönlich habe ich vor vielen Jahren festgestellt, dass ich nicht besser bin, obwohl ich 150% gebe. Klar, war ich richtig gut. Aber, ich habe auch richtig lang dafür gebraucht und es war auch absolut anstrengend. Andere haben mit weniger Aufwand auch Gutes erreicht. Und, ich habe auch gesehen, dass Erfolg nicht nur zu denen kam, die sich abstrampelten und abmühten.
Es gab einen weiteren Aspekt: das was für mich das Optimum war, war es nicht unbedingt für meine Kund:innen. Einige wollten manchmal wirklich nur die kompakte Version und nicht den 10-seitigen Abschlussbericht. Ihnen war wichtig zu wissen, dass ich richtig gut war, aber nicht, dass aus jeder meiner Leistungen, ein starkes Bemühen zu erkennen war. Z.B. wenn sie nur schnell eine Frage per Mail hatten. Solche Mails habe ich nie schnell, schnell geschrieben, sondern mehrfach überarbeitet, bevor ich sie abschickte.
Für mich war es wichtig, diese Muster, mit denen ich mir selbst im Weg stand zu verändern und manche auch hinter mir zu lassen, weil sie mir nicht nützlich waren.
Und zum letzten Aspekt, den für mich die Frage beinhaltet – dem Streben nach Perfektion. 1. wissen wir wirklich, dass Perfektion ein Anliegen für Michelangelo war? Wollte er nicht einfach den ganzen Tag lang einfarbige Flächen in bunte Dimension verwandeln, Geschichten durch Bilder erzählen? Wünschen täten wir ihm, dass das Malen ihn in ein Flow-Erlebnis versetzt hat.
Ich habe kürzlich den Film „Köln 75“ gesehen. Der Film war über Vera Brandes, die das legendäre Köln-Konzert vom Jazz-Pianisten Keith Jarrett möglich machte. Die Figur der Vera war spannend, weil sie so durch und durch „Can-do“ war: will ich, mache ich, finde ich einen Weg. Keith Jarrett hingegen war der Künstler, der schlecht und recht von seiner Kunst lebte, sie gegen absolute Selbstausbeutung umsetze und wenig zufrieden schien. Könnte ein Perfektionist sein, der da portraitiert wurde.
Zwei meiner Thesen:
Ich glaube nicht, dass Genie immer Perfektionismus braucht.
Wir wissen, dass Monet zu Lebzeiten wenig geschätzt wurde.
Ich finde „Perfektion“ absolut überbewertet. Was sagt sie aus – außer es handelt sich um die Zeitmessgenauigkeit eines Schweizer Uhrwerks? Perfektion ist allzuoft ein subjektiver Maßstab, abhängig vom Gegenüber. Natürlich kann man für sich Qualitäten definieren und solche, die man anstrebt. Ich finde sogar, wir sollten das. Darüberhinaus: Wir sollten unser „Uns-Sein“ leben, ohne den ständigen Blick nach außen und den Vergleich. Ohne Perfektionismus, der so stark im Außen verankert ist, ohne nach Anerkennung zu dürsten. Wir sollten einfach authentisch wir sein. Ja, das einfach steht hier wegen der Satzrhythmik, weil einfach ist das in unserer Welt des Vergleichs, der Gleichmacherei, der strikten Normen nirgendwo. Probieren, sollten wir es trotzdem. Perfektionismus ist nicht authentisch. Als Perfektionistin bin ich bestrebt nach Außen einem Bild zu entsprechen. Das will ich für mich nicht, deshalb bin ich genesende Perfektionistin, die mal zu viel, zu wenig, zu laut, zu dick, zu bunt, zu fad, … sein wird. Das ist dann die Bewertung des Gegenübers.
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