Perfektionist:innen zeichnen sich dadurch aus, nach einer mehr als guten Leistung zu streben. Sie bereiten sich gewissenhaft vor und wünschen sich Anerkennung. Lob anzunehmen und zufrieden zu sein, fällt ihnen jedoch schwer. Meist trifft hohe Gewissenhaftigkeit auf eine eher niedrige emotionale Stabilität.
Die eigene Leistung wird wichtig genommen, aber gering bewertet. Es ist kein entspannter Lebensweg, weil man sich oft zu sehr auf Defizite konzentriert. Es kommt dann regelmäßig zu Überforderung und dem, was ich als Apokalypse-Modus bezeichne.
In meinen Gesprächen mit Perfektionist:innen stelle ich immer wieder fest, dass vielen nicht klar ist, dass im Paket „perfektionistisch sein“ noch weitere Aspekte enthalten sein können.
Die häufigsten Nebenschauplätze sind:
- Prokrastination
- Impostor Syndrom
- People Pleasing
Prokrastination
Prokrastination wird auch als Aufschieberitis bezeichnet – Dinge nicht starten können, sie „lieber“ aufzuschieben. Für manche wirkt das nach außen hin wie Faulheit. Prokrastination ist jedoch etwas, das alle Perfektionist:innen kennen, und es ist kein Mangel an Disziplin. Sie tritt sowohl bei kleinen Aufgaben als auch bei großen Projekten auf. Der Schmerz, das Projekt nicht zu machen, ist oft geringer als der Schmerz, es endlich anzugehen. Warum Perfektionist:innen prokrastinieren, kann unterschiedlich sein. Ich habe noch keine Perfektionistin und keinen Perfektionisten getroffen, die Prokrastination nicht als belastend und frustrierend erlebt haben.
Darüber gibt es bereits einen Artikel, der erklärt, dass Prokrastination nichts mit schlechtem Zeitmanagement zu tun hat, wenn Du perfektionistisch bist.
Impostor Syndrom
Das „Hochstapler-Syndrom“ bezeichnet das Phänomen, dass Menschen, die eine Tätigkeit mitunter jahrelang und oft auch recht erfolgreich ausüben, sich dennoch als Hochstapler empfinden. Sie denken regelmäßig, dass sie das nicht können, dass dies bald auffliegt und ihre Scheinwelt zusammenbricht.
Dieses Gefühl der Hochstapelei habe ich sowohl bei Führungskräften als auch bei Menschen getroffen, die seit Jahrzehnten erfolgreich in ihrer selbst entwickelten Beratungsnische tätig sind. Äußere Anerkennung wie Preise und Auszeichnungen mindern das tiefe Gefühl der Unzulänglichkeit, die Selbstzweifel und die Versagensangst nicht.
People Pleasing
Hier gibt es kein wirklich passendes deutsches Wort. Manche sprechen von Harmoniesucht, Gefallsucht oder auch Konfliktscheue, was jedoch nur Teilaspekte beschreibt. Im extremsten Fall stellen People Pleaser die Bedürfnisse anderer über die eigenen – teils, weil sie „sich selbst nicht spüren“, ihre eigenen Bedürfnisse nicht kennen oder diese nicht als ernst und wichtig wahrnehmen.
Von anderen akzeptiert und anerkannt zu werden, gemocht zu werden, ist ihnen wichtiger. Diese Menschen verbiegen sich, um es anderen recht zu machen, sagen selten Nein, wenn sie um etwas gebeten werden, und schaffen es nur schwer, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen, zu benennen und einzufordern.
Wie bei allem gibt es verschiedene Variationen. Nicht überall sind einzelne Phänomene gleich stark ausgeprägt, und manchmal hängt es auch von der Tagesverfassung ab. Und wie immer ist der innere Leidensdruck von außen nicht feststellbar.
Es gibt auch hohe Korrelationen zwischen Perfektionismus und anderen Bereichen (wobei Korrelation nicht Kausalität bedeutet – das heißt, es tritt häufig gemeinsam auf, aber nicht zwingend, weil das eine das andere bedingt oder umgekehrt): Depressionen, Zwangsstörungen, Essstörungen, Burnout.
Nicht erst auf dieser Ebene ist es sinnvoll, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Grundsätzlich ist es immer sinnvoll, die eigenen Handlungsweisen, Ansichten und Entscheidungen besser zu verstehen und mit professioneller Unterstützung zu reflektieren.