Grafik mit Beschriftung Rastlosigkeit

Rastlosigkeit – eine Qualität unserer Zeit?

Kennst Du das?

Dein Kopf denkt, Du tust, Du bist rast- und ruhelos.

Pausen sind Löcher in Deiner Produktivität: Du solltest doch noch den Geschirrspüler einräumen, dringend diese 3 Nachrichten beantworten, Deiner Mutter noch das Rezept schicken und den Text wolltest Du schon längst fertig überarbeitet haben. Hast Du für den Ausflug am Samstag schon alles besprochen?


Ist das neu? Oder nur sichtbarer?

Ich bekomme immer wieder Rückmeldungen auf meine Artikel. Und oft schwingt in den Fragen Systemkritik mit, manchmal leise, manchmal direkt:

„Gab’s denn das schon immer?“
„Ist Perfektionismus nicht etwas Modernes?“
„Regina, glaubst Du, hat das mit dem Kapitalismus zu tun?“

Perfektionistisches Agieren ist in unserer Leistungsgesellschaft nicht verpönt. In der Schule zumindest nicht von Lehrer:innen und auch später nicht. Es ist aber nicht neu. Alfred Adler forschte vor über 100 Jahren dazu. Vom Autor Stefan Zweig entdeckte ich kürzlich folgende Aussage: „auffallend, dieses ständige Tätig sein müssen“ aus Notizbuch „Notizen über Newyork 1935. 1938“. Also auch schon 90 Jahre alt. Die erste Forscherin zum Perfektionismus Karen Horney, ohne Lehrstuhl und viel universitäre Unterstützung, sprach in den 50ern von Perfektionismus als „the tyranny of the shoulds“ – die Tyrannei des Sollte. Perfektionismus ist nicht neu.

Leistung als Stütze des Selbstwerts
Der Selbstwert von Perfektionist:innen ist stark mit ihrer Leistung gekoppelt, der Anerkennung ihrer Leistung, der Wahrnehmung ihrer Leistungsfähigkeit. Wie passen Pausen in dieses Selbstbild – Naja, nicht besonders. Pausen wirken als Bruch im Anspruch an uns selbst, sie fühlen sich wie Faulheit an statt wie Selbstfürsorge.

Effizient und allzeit beschäftigt

Wir journaln, sporteln, hören Podcasts, Hörbücher, senden Sprachnachrichten an ChatGPT während des Wanderns und zurück im Büro, ist der Draft fürs Paper fertig, Korrektur gelesen und übersetzt.

Es sind schnelle Zeiten, die Möglichkeiten Produktivität zu steigern enorm.
In meinem Büro gibt es mehrere Ecken mit Post-its, rechts am Kasten klebt da auf flieder „trabig“ und auf grün „gschaftig“. Während „trabig“, meist wie eilig benutzt wird, hier ist Zeitdruck und volle Konzentration dabei, hat „gschaftig“ den Beigeschmack von Wichtigtuerisch. Es war früher auch vieles zeitsensitiv, denk nur an die Ernte kurz vor dem Gewitter.

Aber wir könnten

Und dennoch – macht Pausen. Perfektionismus ist nicht neu, der hohe Anspruch an uns nicht, der niedrige Selbstwert. Wir können uns das Setting erst seit einiger Zeit leisten. Also es zu haben, zu benennen, zu reflektieren und auch, dass wir es ändern wollen.

Und ja, ich bin natürlich auch systemkritisch: ich möchte die Welt für Perfektionist:innen wirklich zarter machen (weil, hey, das ist sie noch nicht), ihre eigene Welt, ihr rundherum. Das Verständnis füreinander, dafür, das wir alle unsere eigenen Bedürfnisse haben dürfen. Dass es okay ist, nicht okay zu sein, überfordert zu sein, ängstlich zu sein, Dinge im eigenen Rhythmus zu tun. Und ich bin ebenso überzeugt es startet bei uns: damit, dass wir zu uns zarter sind, liebevoller, verständnisvoller. Und dann können wir das auch leichter mit andren sein, zarter, liebevoller, verständnisvoller.

Und beim Pausenmachen könntest Du damit anfangen – beim Pausieren perfektionieren.

Oder Du startest dabei zarter zu Dir zu sein oder damit Lob anzunehmen oder mach gar nichts. Und ja, das ist radikal und rebellisch.